Altersdiskriminierung im öffentlichen Dienst
Führt eine Altersdiskriminierung im öffentlichen Dienst dazu, dass Angestellte stets die höchste Grundvergütung verlangen können? Für Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst sind die Vorlagen des Bundesarbeitsgerichts zum EuGH vom 20.05.2010, AZ 6 AZR 148/09 und 6 AZR 319/09 sowie dessen Entscheidung vom 08.09.2011, C-297/10 relevant.
In beiden Fällen ging es um Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst, die die Bezahlung aus der jeweils höchsten Dienstaltersstufe verlangten, obwohl sie diese noch nicht erreicht hatten. Sie argumentierten, dass eine Alterdiskriminierung wegen ihrer Jugend vorläge, da die Dienstaltersstufen sich an ihrem Lebensalter orientieren und nicht z.B. an der Dauer der Beschäftigung. Es liege ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot vor, so dass sie die Bezahlung nach der höchsten Altersstufe fordern können. Dies bezog sich sowohl auf die Altersstufen des Bundesangestelltentarifs (BAT) als auch auf die Überleitungsvorschriften in den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD).
Der Arbeitgeber argumentierte, dass ältere Arbeitnehmer in der Regel mehr Berufs- und auch Lebenserfahrung haben. Außerdem hätten sie normalerweise einen höheren Finanzbedarf. Das Bundesarbeitsgericht wies darauf hin, dass es die Lebensaltersstufen des öffentlichen Dienstes vor Umsetzung der Anti-Diskriminierungsrichtlinie 2000/78 EG durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) für zulässig gehalten habe, da diese von den Tarifvertragsparteien ausgehandelt und damit auch von der Arbeitnehmerseite gebilligt worden seien. Die Tarifautonomie ist zudem durch das Grundgesetz und auch das europäische Gemeinschaftsrecht geschützt, ebenso wie der Gleichheitsgrundsatz. Das Bundesarbeitsgericht hat diesen Konflikt bisher so gelöst, dass es der Tarifautonomie den Vorrang gab, da bei generalisierender Betrachtungsweise ältere Arbeitnehmer auch mehr Berufserfahrung haben. Wie dieser Konflikt auf europäischer Ebene zu lösen ist, müsse jedoch der EuGH klären.
Die Vorlagebeschlüsse des Bundesarbeitsgerichts zur Altersdiskriminierung im öffentlichen Dienst
Das Bundesarbeitsgericht führte in seinen Vorlagebeschlüssen weiter aus, dass der Europäische Gerichtshof in der Vergangenheit Alterdiskriminierung jüngerer Arbeitnehmer akzeptiert habe, wenn die bevorzugten älteren Arbeitnehmer mehr Berufserfahrung haben. Es könnte aber insofern eine Altersdiskriminierung vorliegen, wenn in manchen Berufen nach einigen Jahren eine Stagnation eintritt, so dass weitere Berufserfahrung über diesen Zeitpunkt hinaus keinen weiteren Vorteil mehr bringt.
Die Entscheidung des EuGH zur Altersdiskriminierung im öffentlichen Dienst
Der EuGH sah in den Altersstufen des BAT einen Verstoß gegen das Gleichheitsgebot, hinter den die Tarifautonomie der Tarifvertragsparteien zurücktreten müsse. Zwar sei das Ziel legitim, größere Berufserfahrung und Betriebstreue zu honorieren, was regelmäßig mit einem höheren Lebensalter einher gehe. Hierfür sei es aber nicht erforderlich und angemessen, bereits bei der Einstellung die Grundvergütung an das Lebensalter anzuknüpfen. Denn es ist ja möglich, dass ein bei der Einstellung älterer Arbeitnehmer keine größere Berufserfahrung als jüngere Kollegen hat, etwa weil er die Ausbildung im zweiten Bildungsweg erwarb. Bessere Kriterien sind nach Ansicht des Gerichts Berufserfahrung und Dienstalter.
Anlässlich der Einführung des TVöD hatten die Tarifvertragsparteien bereits von der Eingruppierung nach dem Alter Abstand genommen und sich vermehrt an der Berufserfahrung orientiert. Diese Regelung verstößt nach Ansicht des EuGH nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Hierbei ist allerdings problematisch, dass im Wege der Überleitung die diskriminierenden Gehälter festgeschrieben wurden, um ältere Arbeitnehmer vor einer Gehaltsabsenkung zu bewahren. Dies hat der EuGH jedoch nicht beanstandet, da diese Situation stufenweise abgebaut werde, bis nur noch die Regelungen des TVöD gelten.
Die Umsetzung des Bundesarbeitsgerichts bezüglich der Altersdiskriminierung im öffentlichen Dienst
Das Bundesarbeitsgericht hat dann in Anwendung dieser Antworten in seiner Entscheidung vom 10.11.2011, 6 AZR 148/09 entschieden, dass die für die Zeit der Anwendung des BAT vorhandene Alterdiskriminierung nur durch eine Anpassung nach oben, also eine Eingruppierung der diskriminierten Arbeitnehmer in die höchste Stufe beseitigt werden kann. Eine Rückforderung der gezahlten Gehälter von den zu Unrecht begünstigten Arbeitnehmern komme schon wegen der Ausschlussfristen nicht in Betracht. Zudem sei diesen Vertrauensschutz im Hinblick auf den Bestand der tariflichen Ordnung zu gewähren. Auch seien die beteiligten Gewerkschaften nicht bereit, rückwirkend eine andere Regelung zu vereinbaren, etwa die Anwendung des TVöD bzw. des TVL vorzuverlegen. Vertrauensschutz stehe dem beklagten Land nicht zu, da das AGG schon seit 2006 in Kraft sei.
Die Klage der Arbeitnehmerin, die sich auch noch nach Überleitung zum TVöD diskriminiert fühlte und auch nach der Entscheidung des EuGH zu den nach ihrer Ansicht weiter bestehenden Ungleichheiten bei der Vergütung nach dem TVöD ausführte, hat das BAG in seiner Entscheidung vom 08.12.2009, 6 AZR 319/09, abgewiesen.
Jüngere Arbeitnehmer können somit für Zeiten, in denen sie noch nach BAT vergütet wurden, die höhere Bezahlung aus der höchsten Grundvergütung geltend machen. Dies gilt nicht nur für Angestellte von Bund, Ländern und Kommunen, sondern auch von privatwirtschaftlich organisierten Unternehmen, die in ihren Tarifverträgen auf den BAT verweisen bzw. verwiesen haben. Aber auch sonst ist in Arbeitsrecht jede einzelne Regelung, die an das Lebensalter anknüpft, genau zu überprüfen, ob diese den Anforderungen des Europäischen Gerichthofes gerecht wird.
Fühlen Sie sich als Arbeitnehmer beteiligt oder zweifeln Sie als Arbeitgeber an der Diskriminierungsfreiheit der von Ihnen angewandten Normen? Sprechen Sie mich an!