Leidensgerechter Arbeitsplatz für erkrankte Arbeitnehmer
Aufgrund des demographischen Wandels und des immer späteren Renteneintritts müssen Arbeitnehmer inzwischen auch in einem vergleichsweise hohen Alter noch arbeiten. Daher kommt es immer öfter vor, dass sie aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage sind, ihre bisherige Tätigkeit auszuüben, aber eine andere Aufgabe im Betrieb des Arbeitgebers übernehmen könnten. Aber steht dem erkrankten Arbeitnehmer dann ein leidensgerechter Arbeitsplatz zu, so dass ein anderer, gesunder Kollege versetzt werden muss?
Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 19.05.2010, 5 AZR 162/09: Leidensgerechter Arbeitsplatz kann nicht in jedem Fall verlangt werden
Die Antwort hierauf lautet wie so oft: „Es kommt darauf an“. Zunächst ist zu prüfen, welche Tätigkeiten dem Arbeitnehmer gemäß des Arbeitsvertrags zugewiesen werden können. Ist die Aufgabenbeschreibung weit gefasst und umfasst Tätigkeiten, die der Arbeitnehmer trotz seiner körperlichen Einschränkungen ausüben kann, ist weiter zu prüfen, ob der Arbeitgeber sein sog. Direktionsrecht nicht bereits dahingehend ausgeübt hat, dass der Arbeitnehmer nur eine bestimmte Aufgabe schuldet. Ist dies der Fall, hat der Arbeitnehmer nach dem Urteil des BAG vom 19.05.2010, 5 AZR 162/09, keinen Anspruch auf Neuausübung des Direktionsrechts. Ein leidensgerechter Arbeitsplatz kann in diesem Fal nicht verlangt werden.
Abweichung von älteren Urteilen des Bundesarbeitsgerichts
Hiermit wich der 5. Senat von in dieser Hinsicht großzügigeren Urteilen des sechsten und neunten Senates, AZR 6 AZR 330/08 und 9 AZR 632/04, ab. Diese Urteile bezogen sich nach seiner Ansicht auf andere Fälle. In dem einen Fall hatte der Arbeitnehmer einen tariflichen Anspruch auf Umsetzung und Einkommenssicherung, in dem anderen Fall lag eine Schwerbehinderung vor. In dem vom fünften Senat zu Ungunsten des Arbeitnehmers entschiedenen Fall konnte der drogensüchtige Arbeitnehmer, der unstreitig seine bisherige Tätigkeit als Sicherungsposten bei der Bahn nicht mehr aus ausüben konnte, somit nicht verlangen, mit sog. „Vegetations-“, also quasi Gartenarbeiten beauftragt zu werden. Er konnte somit auch nicht im Wege des Annahmeverzugs aufgrund des bloßen Arbeitsangebots seinen Lohn erhalten, ohne seine Arbeit erbracht zu haben. Dem Arbeitgeber konnte nicht vorgeworfen werden, ihm keine Vegetationsarbeiten zugewiesen zu haben. Ein leidensgerechter Arbeitsplatz stand diesem Arbeitnehmer nicht zu.
Möglicher Schadenersatzanspruch des Arbeitnehmers
Das BAG sah aber möglicherweise einen Schadenersatzanspruch gegen den Arbeitgeber wegen Verletzung des Rücksichtnahmegebotes gegeben. Dieses gebietet dem Arbeitgeber bei der Beseitigung von Leistungshindernissen mitzuwirken und sein Direktionsrecht neu auszuüben. Voraussetzung sei aber, dass der Arbeitnehmer einen leidensgerechten Arbeitsplatz verlange und genau erkläre, wie er trotz seiner gesundheitlichen Einschränkungen diese Aufgabe erfüllen könne. Die Zuweisung des leidensgerechten Arbeitsplatzes müsse dem Arbeitgeber zudem zumutbar und rechtlich möglich sein. Dies ist dann nicht der Fall, wenn der Kollege, der den leidensgerechten Arbeitsplatz inne hat, gemäß den Vereinbarungen in seinem Arbeitsvertrag nicht versetzt werden kann oder aber einer gegen eine Versetzung vorgehen würde. Rechtlich unmöglich wäre die Neuausübung des Direktionsrechts auch, wenn ein etwaig vorhandener Betriebsrat nicht zustimmt. Der Fall wurde dann zur weiteren Klärung an das Landesarbeitsgericht zurück verwiesen. Der Ausgang des Rechtsstreits ist nicht bekannt. Möglicherweise wurde er sodann durch Vergleich beendet.
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat einen solchen Schadenersatzanspruch des Arbeitnehmers in Anlehnung an das soeben dargestellte Urteil in seiner Entscheidung vom 06.06.2012, 4 Sa 2152/11 bejaht im Fall einer Erzieherin, die aufgrund einer psychischen Erkrankung nicht mehr im sonderpädagogischen Bereich eingesetzt werden konnte. Dieser stand ein leidensgerechter Arbeitsplatz somit zu.
Der Umweg über den Schadenersatzanspruch ist ein gutes Mittel, den Arbeitgeber doch noch zur Zuweisung einer leidensgerechten Arbeit zu bewegen. Denn kein Arbeitgeber hat Interesse daran, Lohn als Schadenersatz zu zahlen, ohne die Arbeitsleistung als Gegenwert für sich nutzen zu können. Sind Sie arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer, sollten Sie sich somit anwaltlich beraten lassen, inwiefern Sie eine Zuweisung einer leidensgerechten Arbeit erreichen können. Aber ebenso sollten Sie als Arbeitgeber genau prüfen, ob dauerhafte erkrankte Arbeitnehmer nicht an anderer Stelle im Betrieb noch nützliche Arbeit verrichten können.
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